Boitin, im Bann der Steine

 

Anthologie 

 

128 Seiten, Format 16 cm x 23 cm 

 

ISBN: 978-3-945-51700-0 

Preis: 9,00 € 

 

Klappentext:

 

In dem nunmehr vierten Werk der Schreibwerkstatt der Volkshochschule Bad Doberan möchten die Teilnehmer Ingrid Vera Siegert, Harry Duschek, Berthold Wendt, Kurt Greve, Wolfgang Wesemann, Brigitte Rasch, Marion Sabine Lampersbach, Elke Hykel und Indira Haß sowie unsere bereits 2012 verstorbene Heidrun Lehmann Ihre Sicht auf Mecklenburg vorstellen. Die Teilnehmer unserer Schreibwerkstatt sind zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen nach Mecklenburg gekommen. Die einen, das sind die wenigsten, sind hier geboren worden. Andere sind auf der Flucht aus der „Kalten Heimat“ hier steckengeblieben. Wieder andere sind in DDR-Zeiten der Arbeit wegen hierher gekommen und wieder andere haben erst nach der „Wende“ die Schönheit unseres Landes entdeckt. Aus diesen verschiedenen Anlässen der ersten Begegnung ergeben sich sehr unterschiedliche Sichten auf dieses Land und sehr unterschiedliche Gründe es zu lieben.

 

 

Heidrun Lehmann  

Rentabilitätsermittlungeiner Bibliothek

GutenTag. Stefan Geldschneider, mein Name. Finanzberater für Bildung und kulturelle Einrichtungen. Ich würde mir gern die Buchhausener Bibliothek ansehen. – Sie sind doch…“

„Liselotte Leseschön, Leiterin der Bibliothek.“

„Richtig. Liselotte Leseschön. Ich erinnere mich. – Ich hätte gern einiges über diese Bibliothek erfahren, Frau Leseschön, zum Beispiel, wie viele Bücher sie beinhaltet.“

„Die Anzahl der Registraturenbeträgt 30.000. – Wie Sie sehen, sind sie in verschiedene Kategorien unterteilt: Hörbücher, Romane, Kinderliteratur…“

„Schön, schön. Und die Anzahl der Leser beträgt …?“

"… etwa 3.000:“

„Darf ich fragen, wo sich die Leser aufhalten? – Ich sehe keine.“

Die Bibliothekarin schluckte.„Das ist richtig. Zurzeit sind keine Leser da. Sie kommen nacheinander. Je nachdem ....“

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. – Wie darf ich das verstehen?“

„So, wie Bedarf besteht. Ist ein Buch ausgelesen, kommt der Leser her, tauscht es gegen ein anderes um.“

„Gut. Und die übrige Zeit stehen die Bücher in den Regalen herum?“

Liselotte Leseschön verschlug es die Sprache. „Aber sie WERDEN genutzt, nur nicht alle auf einmal.“

Der Finanzberater ließ sich nicht beirren. „3.000 Leser sagten Sie? – Was für Leute sind das?“

„Aus verschiedenen Schichten der Bevölkerung: Kinder, Eltern, Rentner, Wissenschaftler, Krankenschwestern, Lehrer, Urlauber.“

„Urlauber? Wieso Urlauber?“

„Bei Regenwetter besuchen uns eben auch Urlauber.“

„So, so. – Eine andere Frage:Wenn keine Leser in der Bibliothek sind, dann haben Sie nichts zu tun?“

„Zu tun haben wir immer. Die Kartei muss …“

„Sie werden sozusagen fürs Nichtstun bezahlt? – Solch eine Arbeit hätte ich auch gern. – Kleiner Scherz! –Was unternehmen Sie, damit der Leserstrom zunimmt?“

„Wir führen Lesungen durch, Lesewettbewerbe für Schüler und auch Lesenächte.“

„Die Regierung investiert wahrlich genug Geld in Bildung. Demzufolge dürfte es unnötig sein, Schüler zum Absolvieren von Leseübungen in eine öffentliche Bibliothek einzuladen. – Wenn Lesen geübt werden soll, dann bitte zu Hause unter Anleitung der Eltern. – Und was habe ich unter Lesungen zu verstehen?“

„Ist ein Buch neu erschienen, bitten wir den Autor, oder auch die Autorin, in unsere Einrichtung zur Buchlesung.“

„Nun verstehe ich gar nichtsmehr. – Warum lesen die Leser nicht selbst, oder nutzen das Angebot an Hörbüchern?“

„Selbstverständlich tun sie das,aber …“

„Entschuldigung, aber ich muss Sie noch einmal unterbrechen. – Was tun Sie des Weiteren für die Steigerung der Leserzahlen?“

„Wir laden Kinder ein, stellen ein Buch oder eine Geschichte vor, lassen sie Textstellen lesen und nachspielen.“

„Nachspielen wie ein Theaterstück? Hier in der Bibliothek? So viel Platz ist dafür vorhanden?“

„Manchmal räumen wir kurzfristigin der ersten Etage ein paar Regale um. – Aber es geht schon.“

„Wie ich sehe, erstreckt sich die Bücherei auf zwei Etagen?“

„Ganz recht.“

„Frau Leseschön, das war’s, was ich wissen wollte.

Meine Fragen sind beantwortet. –Ihr Engagement in allen Ehren, aber es gibt … Ach, lassen wir das!. – Sie hören von mir. Auf Wiedersehen und weiterhin gute Zusammenarbeit!“

Nach dem Besuch der Bibliothek verfasste Stefan Geldschneider folgenden Bericht an das Ministerium:

 

Rentabilitätsbericht der Bibliothek Buchhausen.

Sehr geehrte Damen und HerrenMinister,

was meine Ermittlungen über die Rentabilität der Bibliothek Buchhausen betrifft, teile ich Ihnen Folgendes mit:

Die derzeit vorhandenen Bücher sind in zwei Etagen untergebracht.

Über das Ausleihen von Büchern hinaus organisiert die Leiterin, Frau Liselotte Leseschön, Veranstaltungen, die meiner Ansicht nach völlig unnötig sind, als da wären: Buchlesungen und Lesewettbewerbe.

Überflüssig sind auch die Lesenächte für Kinder. Um die Augen der Heranwachsenden nicht zu schädigen, ist das Tageslicht zu nutzen. – Diese Lesenächte sind als gesundheitsschädigend einzustufen.

Unrentabel ist die gesamte Abteilung für Kinderliteratur. – Das Schullesebuch ist als Lektüre völlig ausreichend.

Da die Bibliothek die Ausleihe von Hörbüchern anbietet, ist es empfehlenswert, diese per Verordnung von den Rentnern nutzenzu lassen. – Letztgenannte sollten ohnehin, um die Krankenkassen durch Verschlechterung ihres Sehvermögens nicht unnötig zu belasten, ganz auf Lesenverzichten und auf häufigere, gesund erhaltende Spaziergänge ausweichen.

Urlauber stellen für die Bibliothek eine verzichtbare Belastung dar. Diese können entweder ihre eigenen Bücher von zu Hause mitbringen, oder auf Zeitschriftenlektüre zurückgreifen.

Die beiden letzten Punkte rechtfertigen meines Erachtens die Kürzung finanzieller Mittel zwecks Buchneuanschaffung ummindestens 70 Prozent.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der größte Teil der Bücher ungenutzt in den Regalen herumsteht und auch die Leiterin der Einrichtung, wie ich mich überzeugen konnte, höchstens zu 30 Prozent ausgelastet ist, sehe ich es als gerechtfertigt an, die Bibliothek auf eine Etage zu beschränken und die Entlohnung der Fachkraft ummindestens 50 Prozent zu kürzen.

Des Weiteren ist zu überlegen, die Bibliothek an ein- oder zwei Tagen pro Woche zu schließen. – Diese Maßnahme rechtfertigt eine weitere Lohnkürzung. Empfehlenswert ist auch eine Erhöhung der Jahresgebühren für Leser um 100 Prozent.

Die frei gewordene Etage und die eingesparten Gelder können für Büroräume der Abteilung „Einsparung kultureller und bildungstechnischer Kosten“ genutzt werden.

Sollte trotz dieser Maßnahmen die Anzahl der Leser innerhalb eines Jahres nicht ansteigen, ist davon auszugehen, dass kein umfassenderer Bedarf für die Nutzung Bibliothek in Buchhausen besteht.

In diesem Fall ist die Einrichtung wegen Unrentabilität zu schließen und die Stelle der Bibliothekarin zu streichen.

Hochachtungsvoll, Stefan Geldschneider.

Finanzberater für Bildung

und kulturelle Einrichtungen.

 

 

* * *  

 

Berthold Wendt

Alarm an Kasse sieben

Sicher, die folgende Geschichte hätte fast überall passiern können, aber erlebt habe ich sie nun mal in Mecklenburg, in einem der großen Einkaufstempel.

 

Frauen nehmen gern für sich in Anspruch, mehrere Dinge quasi zur gleichen Zeiterledigen zu können und sprechen Männern diese Multitasking-Fähigkeit ab. Das ist nicht ganz richtig, wenn ein Faktor dieses Multitaskings die verbrauchte Zeit ist. Hier sind wir Männer eindeutig im Vorteil, besonders, wenn wir einen Bekannten auf der Straße treffen oder telefonieren …

Ich gedenke, mir eines dieser universell verwendbaren Smartphons zuzulegen. Während ich dabei bin, mich im Internet mit den verschiedenen Modellen auseinanderzusetzen, fällt mir geradenoch rechtzeitig ein, dass ich weder Brot noch Butter noch Käse im Haus habe. Für meine bessere Hälfte, also Ines, ist ein Frühstück ohne Käse wie eine Wohnung ohne Möbel. Sie kommt in der Nacht von unserer Tochter, die ihr erstes Kind bekommen hatte, aus dem fernen Essen heim. Als vorbildlicher Ehemann muss ich Ines natürlich beweisen, dass das häusliche Leben nicht zum Erliegen kommt, wenn sie mal nicht da ist. Ines kann und wird zufrieden sein.

Ich habe es mir zum Prinzip gemacht, vor dem Einkaufen eine Liste mit den benötigten Waren auf dem Computer zusammenzustellen und auszudrucken. Zum Einen ist meine Handschrift nicht die Beste, sodass ich selbst nach einer Stunde Mühe habe, die eigene Schrift wieder zu entziffern. Zum Anderen kann ich mir so strukturiert Einkaufszettel anlegen und ergänzen, die verschiedenen Verkaufsstellen zuzuordnen sind. Mit so einem Smartphon würde auch das Ausdrucken der Einkaufszettel entfallen.

Schweren Herzens versuche ich mich also, von der Produktbeschreibung zu trennen, obwohl ich der Meinung bin, kurz vor dem Verständnis zu stehen. Nun gut, diesen einen Absatz muss ich noch lesen. Der scheint mir sehr wichtig zu sein. Auf der Fahrt zum Supermarkt habe ich dann Gelegenheit darüber nachzudenken. In diesem Augenblick bemerke ich, dass ich nicht zwei Sachen auf einmal denken kann, auch nicht multitasking-mäßig. Also den Absatz mit höchster Konzentration noch einmal lesen. Ein Blick auf die Uhr lenkt mich ein zweites Mal ab und ich stoße einen Wutschrei aus. Die Zeit ist knapp. Der Computer kommt mir zur Hilfe, indem er einfach so mir nichts, dir nichts abstürzt, was er meistens unangekündigt und ohne jedes Gepolter tut.

Jetzt wird es aber wirklich Zeit, wenn ich den Supermarkt noch rechtzeitig erreichen will. Den PC noch einmal hochfahren, um einen Einkaufszettel auszudrucken, erscheint mir zeitmäßig nicht mehr drin zu sein. Die drei Sachen werde ich mir ja wohl merken können, ohne mir einen Zettel schreiben zu müssen.

Ruckzuck bin ich mit dem Auto am Supermarkt. Sogar eher als gedacht und ohne dass mich so ein orangefarbener Blitz überrascht hatte. Aus einem fahrbaren Verkaufsstand vor dem Eingang des Konsumtempels steigt mir der Duft von frisch geräuchertem Fisch in die Nase. Warum soll ich mich eigentlich nicht für die Erledigung der Hausarbeit seit Ines’ Abwesenheit mit einem schönen Stück Heilbutt belohnen, zumal der Standgerade leer ist.

Ahnungslosen Kunden wird im Supermarkt das sauer verdiente Geld auf vielfältige Art und Weise mit Verführungen förmlich aus den Taschen gezogen. Aber Männer wie ich sind willensstark, beschränken sich auf das Wesentliche und durchschauen die dahinterstehende Absicht. Ein erster Blick rundum verrät mir, dass schon wieder alles arglistig umgeräumt wurde. Dort, wo noch neulich die Süßigkeiten aufs Zugreifen warteten, liegen jetzt die Bücher. Dabei hatte ich mich schon starkgemacht, nicht gleich rechts nach der Schokolade zu greifen. Sofort fällt mir der Titel aus der Werbung im Fernsehen auf. Mal sehen, ob’s wirklich so wunderbar geschrieben ist, wie es dort beworben wurde. Sicher, sogar ganz sicher, würde Ines es sogar zuerst lesen. Warum also zögern?

Ein fünfziger Pack DVD-Rohlinge für nur 9-Euro-99! Auf diesen 99-Trick falle ich nicht mehr herein und runde auf 10 Euro auf und habe sofort den Schein vor Augen. Ich habe nur noch vier Rohlinge. „Nur für kurze Zeit!“ steht auf einer Tafel. Ich wäre dumm, wenn ich hier nicht zugreifen würde.

Es ist eben auch eine Eigenschaft des Mannes, besonders günstige Gelegenheiten nicht verstreichen zu lassen, solange die Notwendigkeit besteht. Kühl überlege ich, ob sich eine Fahrt eben nur wegen der DVD-Rohlinge lohnen könnte, und muss die Frage mit einem klaren Nein beantworten. Hingegen würde ich bei einem günstigen Angebot von Schuhen nicht in den femininen Kaufrausch verfallen, wenn sich bereits drei Paar im Schuhschrank drängeln würden. Zur Not kann man im Schnee auch mal Sandalen tragen, wenn die Socken nur dick genug sind.

Das Süßwarenregal bereits in Sichtweite drängeln sich gut 15 Kunden an einem Stand, der Wein zur Verkostung anbietet. Merkwürdigerweise spricht mich der Marktschreier gleich an, obwohl er nun wirklich nicht schreien muss. So schwerhörig bin ich auch wieder nicht. Gut, von einem Schlückchen Wein würde ich nicht gleich fahruntauglich werden. Ich tue wie ein Weinkenner und prüfe den Schluck mit Auge, Nase und Zunge. - Hätte ich das Letztere nur nicht getan und auf meine Nase vertraut! Die Süße des Weines ist für meine Begriffe geschmacklich zu sehr im Hintergrund. Mit Interessant bedanke ich mich für die Probe. Gut möglich, dass gerade eben meine Worte und mein Gesicht etwas völlig Verschiedenes ausdrückten. Erst jetzt bemerke ich dank meiner Größe, dass sich die Menschentraube um einen Jungen gruppiert, der absolut nicht davon zu überzeugen ist, sich Dutzende Kleidungsstücke anprobieren zu lassen und einfach nur mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf dasteht, aber zumindest nicht plärrt: Ich will dieses haben, ich will jenes haben. Eigentlich sollte man bei solchen Nervensägen die Eltern bestrafen, wenn sie meinen, die Erziehung ihrer Kinder unbedingt ins Kaufhaus verlegen zu müssen.

Nach dem allzu säuerlichen Erlebnis der Verkostung ist mir nach etwas Süßem zumute. Was eignet sich dafür besser als köstliche Schokolade, wenn die bessere Hälfte, in meinem Fall also Ines, gerade nicht da ist. Sehr zu meiner Überraschung liegen unsere Lieblings-Marzipan-Pralinen im Regal, die es schon lange nicht mehr gab. Der Logik folgend bevorrate ich mich mit drei, nein fünf, der schwarzen Schachteln mit dem abgebildeten Glas Bier auf dem Deckel. Ich sehe mich nach links und rechts um und nehme dann auch noch die restlichen drei. Für die Fahrt nach Hause und als heimliche Reserve wäre ein Beutel Schokoriegel genau das Richtige. Nur welche Sorte? Ich mache wegen der Übersicht einen Schritt zurück. In genau diesem Moment schiebt eine aufgetakelte Fregatte ihren Wagen in mein Sichtfeld und beginnt gemächlich mit ihrer Auswahl, indem sie verschiedene Packungen dem Regal entnimmt und wieder hinlegt. Schließlich setzt sie ihren Weg ohne Schokolade fort. Eine Minute noch, dann hätte ich sie zur Rede gestellt – zumindest vielleicht.

Zwei Damen mittleren Alters, wenn ich damit nicht daneben liege, haben sich getroffen und sind in ein tiefschürfendes Gespräch über die Farbe von Damenunterwäsche und deren Einfluss auf das Wetter, vielleicht auch anders herum, vertieft. Endlich komme ich zu meinen Schokoriegeln. Ich blicke in den Gang und nehme meinen Wagen. Offensichtlich ist dieser Gedankenaustausch so wichtig, dass sie nicht einmal auf mein Dürfte ich bitte mal durch reagieren. Die entgegengesetzte Richtung kostet mich gut 19 Meter mehr Weg. Ich habe schließlich keine Zeit.

Ein Bildschirm mit quäkigem Ton, der eine Mini-Kreissäge anpreist, fordert meine Aufmerksamkeit. Sofort fallen mir mehr als ein Dutzend Arbeiten ein, deren Erledigung Ines glücklicher machen würde. Ohnehin bin ich mit der Ausführung ihrer Ideen mangels genau so eines Werkzeugs in Verzug geraten, wird mir gerade klar.

Männer werden von Frauen immer als diejenigen angesehen, die kleinere und größere Wunder vollbringen können. Einerseits lassen sich Männer von den Frauen gern in diese Rolle drängen, andererseits ist das handwerkliche Können ein Refugium für die Männer, sich bei dem Werben um eine Frau mit derartigen Talenten hervortun zu können.

Was für Frauen die Garderobe, ist für richtige Männer das Werkzeug. Ein ordentlicher Werkzeugfundus ist somit der Gradmesser der Liebe zu einer Frau. Leider sehen dies viele Frauen völlig anders und drücken sofort ihr Missfallen aus, wenn mann sich eine weitere Spezialsäge anschafft.

Männer enthalten sich aus gutem Grund ihrer Meinung, wenn sich frau ein weiteres Kleidungsstück zulegt, obwohl der Kleiderschrank schon aus den Fugen geht. Sollte sich ein Mann dennoch erdreisten, ganz vorsichtig dazu eine Bemerkung zu machen, heißt es doch auch immer: Das war verbilligt. Warum darf dieses Argument, von Männern ausgesprochen, eigentlich nicht gelten? Das Wort Einführungspreis lenkt meine Hand vom Stapel unter dem Bildschirm in meinen Einkaufswagen.

Mein Weg führt mich zu den Kühltruhen und ich bekomme Hunger. Ausgerechnet bei den Pizzen meiner Lieblingsmarke packt ein älteres Ehepaar eine nach der anderen Schachtel in den Korb und ich habe die Befürchtung, keine mehr abzubekommen. Suchend blickt besagtes Ehepaar in die Fächer nebenan und schiebt ihren übervollen Einkaufswagen mit gesenkten Mundwinkeln weiter.

Natürlich, alle weg! Ich verstehe nicht, dass manche Leute unbedingt hamstern müssen. In so einem Falle würde eine Frau die nächste Verkäuferin fragen, ob die Pizzen, die dort in der Truhe gelegen haben, noch im Lager wären, wohl wissend, dass es im Lager gar keine Kühlmöglichkeit gibt. Ich erspare mir solche Peinlichkeiten und lege stattdessen die zweite Wahl, eine Dose Erbseneintopf mit Speck in meinen Einkaufswagen. Das zeigt einmal wieder, wie wichtig ein richtiger Plan-B ist.

Angeregt durch die vielen leckeren Sachen im Supermarkt sieht sich mein Magen genötigt, sich lautstark in Erinnerung zu bringen. Vorwurfsvoll sehe ich einen anderen Kunden in meiner Nähe an und gehe empört weiter. Meine Augen entdecken einen Probierstand für Wurstwaren. Das ist die Rettung, denn immer funktioniert diese Projektion des Schämens auf andere nicht. Schlimmer als am Weinstand konnte es nicht werden. Und richtig. Ich probiere mich ohne wirklichen Genuss durch die Wurstsorten durch und stelle Vergleiche an. Das Kneifen im Bauch lässt nach und ich lobe den Geschmack, frage auch noch nach der Haltbarkeit und den Gewürzen. Die junge Frau hinterdem Stand wittert ein gutes Geschäft und gibt mir bereitwillig Auskunft. Aber ich bedanke mich nur für die gute Beratung und schiebe meinen Einkaufswagen in Richtung Kasse.

Die Wahl der richtigen Warteschlange ist eine Wissenschaft für sich. Wer das Verhalten an der Kasse schon öfter beobachtet hat, wird zu dem Schluss gekommen sein, dass die Wartezeit an einer Kasse mit wenigen Kunden nicht zwangsläufig am geringsten ist. Auch die Warteschlangen mit Kunden, die nur wenige Artikel in ihren Körbenhaben, stellen keine Garantie dar, möglichst schnell selbst an die Reihe zukommen. Als Ines sich mal wieder in der schier unübersehbaren Anzahl von Kleidungsstücken und Schuhen vertieft hatte, habe ich das Verhalten an der Kasse studiert. Dabei habe ich festgestellt, dass es auf den Quotienten aus der Artikelmenge und Anzahl der Kunden ankommt, wobei pro Kunde noch ein Aufschlag für den Bezahlvorgang zu machen ist. Ines konnte ich damals mit dem Ergebnis tief beeindrucken. Ihr blieb eine ganze Weile förmlich die Spucke zum Reden weg.

Meine Wahl fällt bei Beachtung aller gemachten Beobachtungen auf Kasse Sieben und belächele wissend die Dicke an Kasse Acht. Meine Einschätzung gibt mir recht. Ruck-Zuck kann ich meine Waren aufs Band legen. Dann geschieht das Unglaubliche: Mein etwa 30-jähriger, großer, hagerer Fordermann mit seinen sieben Artikeln muss in den Verkaufsraumzurück, um seine Tomaten abzuwiegen. Der Kunde scheint die Waage nicht zufinden, ist mein Eindruck. Warten. Piep - Piep. Dann der zweite Schock. Die Kasse erkennt einen Strichcode nicht. Die Kassiererin muss ihn per Hand eingeben. Das funktioniert aber auch nicht und sie greift zum Telefon. Auch sie ist von der Warterei genervt und rollt mit den Augen, bevor sie den nun endlich richtigen Zahlencode von der Stimme an ihrem Ohr in die Kasse eingeben kann. Zum Bezahlen hält mein Vordermann die EC-Karte hin. Ewig muss ich warten, bis der Kartenleser die Karte wieder freigibt. Ach ja, die Treuepunkte, auf die seine Mutter soviel Wert legt, will er natürlich auch noch haben. Und das wegen Null-Komma-Drei-Prozent Rabatt. Es ist wahrscheinlich uncool, aber ich kaufe lieber anonym mit Bargeld ein.

Endlich bin ich dran. Mein Vordermann geht aus dem Kassenbereich, als ein aufgeregtes Piep-Piep-Piep und das Aufleuchten einer roten Lampe neben seinem inzwischen tomatenroten Kopf, ein nicht gelöschtes Sicherheitsetikett signalisieren oder eben einen Diebstahl.

Alle relevanten Artikel müssennoch einmal aufs Band, deshalb muss ich meine Sachen zurückziehen. Die Kunden hinter mir murren, der Letzte muss sogar noch unwillig wieder etwas in seinenWagen zurücklegen. Zum Glück, Diebstahl war es nicht. Ich schaue mich um und sehe die Dicke, die mir vorhin aufgefallen war, ihren übervollen Wagen zumAusgang schieben. Ich muss unbedingt meine Formel präzisieren.

Müde verstaue ich dasEingekaufte in den Schränken. Den Eintopf jetzt noch heiß machen, dazu habe ich keine Lust mehr. Ich werde mich mit einer Stulle begnügen und mache den Schrankauf. Kein Brot, keine Butter, kein Käse. Die Geschäfte sind geschlossen und in einer halben Stunde muss ich aufbrechen, um Ines vom Zug abzuholen.

 

* * * 

 

Berthold Wendt 

 

"Schmarotzer"

Kriminalroman

Leseprobe 

 

196 Seiten, Format 15,5 cm x 22 cm

 

Printbuch ISBN: 978-3734-76703-6

Preis: 7,99 €

 

E-Book ISBN: 978-3-8476-1685-6  

Preis: 4,49 €  

 

Klappentext:

 

Der zu Unrecht suspendierte Kriminalober-kommissar Udo Voss überschreitet als gelernter Kriminalist immerwieder seine Kompetenzen als Mitarbeiter einer Wachfirma. Er wird gekündigt und ist nun nicht nur teilweise, sondern vollständig von Sozialleistungen abhängig.

Während eines angeordneten Lehrganges des Jobcenters gerät er aufgrund seiner Spürnase und Neugier zwischen die Fronten einer Korruption, in die auch diese private Bildungsfirma verwickelt zu sein scheint. Hier lernt er Irma Lundström, die Sekretärin der Bildungsfirma kennen.

Eines Tages wird Udo völlig unerwartet von Rockern einer Motorradgang überfallen ...

 

Schmarotzer, ein gesellschaftskritischer Kriminalroman.

 

 

 

Freitag, 8. Oktober

Die Ohrstöpsel, ohne die Udo am Tage ohnehin nicht schlafen konnte, drückten unangenehm. Mehrmals nahm er sie heraus, knetete sie zurecht und schob sie sich wieder in die Gehörgänge. Erfolglos. Immer wieder kamen ihm die Ereignisse der vergangenen Tage in Erinnerung: die Rüge von seinem Chef und dann auch noch diese Krause mit ihren krausen Vorstellungen. Aber was hatte die gute Frau Gutrecht veranlasst, sich beruflich zu verändern?

Udo legte sich auf die andere Seite. Bald darauf kreisten seine Gedanken erneut um diese Ereignisse. Udo wusste nicht, wie viele Male er versuchte, durch eine Lageveränderung den quälenden Gedanken zu entkommen. Viele Male, gleich einem sich ständig wiederholen Echo hörte er seinen Chef mit hallig-metallischer Stimme sagen: Suspendierung, Suspendierung, Suspendierung. Gleichzeitig schien er zu lachen. Lachte er ihn aus? Schwer zu sagen. Er lachte nur und hielt Frau Krause eng an sich gepresst im Arm. Auch sie lachte, wohl über ihn. Udo hatte das Gefühl, immer kleiner zu werden. Im Stehen sah er die Sitzfläche eines Stuhls von unten. Bald konnte er sich im Gras der Wiese vor dem Haus seiner Eltern verstecken. Plötzlich wurde es dunkler. Im letzten Augenblick erkannte er, dass es eine Schuhsohle war, die ihm das Licht nahm. Voller Angst versuchte er davonzulaufen, doch die Grashalme waren viel zustark. Er fühlte sich wie im Maisfeld. Immer weiter senkte sich die Sohle und drohte ihn zu zerquetschen. Mit schmerzenden Beinen fiel er hin. Keine Zeit aufzustehen. Auf allen Vieren versuchte er, davon zukommen. Der Boden war nass. Schlamm spritzte ihm ins Gesicht. Schon spürte er die Schuhsohle an seinem Hinterteil. Udo versuchte zu schreien. Ein Kloß in der Kehle verhinderte das. Schon wurde er niedergedrückt. Ein mystischer Schrei weckte Udo. Völlig durchschwitzt riss er die Augen auf und blickte in zwei dunkelbraune treue Hundeaugen. Hassos nasse Zunge fuhr ihm mehrfach übers Gesicht, das er sich dann mit seinem Schlafanzugärmel abwischte. Udo fröstelte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er selbst diesen Schrei ausgestoßen hatte, von dem er aus seinem Albtraum erwachte. Er schaute auf seinen Wecker, der vor fast zehn Minuten geklingelt hatte, ohne dass eine Hand ihn ausstellen konnte.

„Alles noch im grünen Bereich“, beruhigte er sich. „Alles ist nur ein Traum gewesen. Ein Traum, ein Traum“, wiederholte er, um es sich selbst glaubhaft zu machen.

In seinen Gedanken gewann die Realität wieder die Vorherrschaft über das Surreale. Den Rest besorgte die Tasse türkisch gebrühten Kaffees, die er noch in aller Ruhe schlürfen konnte, bevor sein Dienst begann. Ein Blick in die Näpfe sagte Udo, dass Hasso satt war. Gut so.

 

Samstag, 9. Oktober

Während der Fahrt zum Dienst wurde der alte Golf von kräftigen Sturmböen, die der Regen mitgebracht hatte, geschüttelt. Die nasse Fahrbahn verstärkte den Blendeffekt der Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge. Da half auch die gelbe Blendschutzbrille nicht mehr viel. Auf dem Hügel, über den die Landstraße führte, erkannte Udo die Lichter einer Warnblinkanlage. Wenig später wurde ervon einem wild um sich fuchtelnden Mann bei einem einheimischen silbergrauen Fiesta angehalten, der ihn bat, seine hochschwangere Frau ins Krankenhaus zubringen, da die Wehen bereits eingesetzt hätten. Vermutlich sei seine Achse gebrochen, meinte er. Udo wendete sein Fahrzeug und machte sich mit der Frau auf den Weg ins Krankenhaus. Wenn er sich ein wenig beeilte, würde er auf jeden Fall noch alle Anlaufstellen auf die Reihe bekommen, kalkulierte er. Er musste nur die Reihenfolge ein wenig umstellen. Das war nichts Besonderes. Ohnehin stellte er seine Fahrtrouten selbst zusammen.

„Danke, Sie brauchen mich nur bis zum Eingang zu fahren. Den Rest werde ich allein schaffen.“ Udo half der Frau aus seinem Wagen, brachte ihre Reisetasche bis vor den Eingang und setzte dann seine Fahrt zu den Kontrollenfort. Der Regen hatte inzwischen aufgehört und auch der Sturm hatte an Kraft verloren. Guter Dinge und mit sich selbst zufrieden erledigte er, Hasso an der Leine führend, seine Aufgabe. „Keine besonderen Vorkommnisse“ konnte er immerwieder in sein Journal schreiben. So konnte es weitergehen.

 

Evelin Krause schreckte hoch. „Dieser Mistkerl!“ schrie sie in ihr nächtliches Zimmer. Der Wecker projizierte in roten Ziffern Zwei-Uhr-Achtundreißig an die Zimmerdecke. Mit beiden Fäusten trommelte sie gegen das Bettgestell. „Dieser Mistkerl hat eine andere“, schluchzte sie. Dabei hatte sie sich schon neben Justus Voigt in seinem roten Cabrio durch die Stadtfahren sehen. Alle Kolleginnen beneideten sie, dass sie sich den Chef geangelt hatte. Und dann das: Vor versammelter Mannschaft hatte er Neid auf sie geschürt, wegen ihrer guten Vermittlungsergebnisse, dieser Affe.

Vor allem diese Gutrecht mit den schlechtesten Ergebnissen. Ob er was mit ihr hatte? Wie sonst konnte sie sich solche Äußerungen erlauben. Und nun ist sie sogar noch befördert worden. Dabei hatte sie, Evelin, doch die besten Ergebnisse. Die müssen was miteinander haben! Angewidert schüttelte sie denKopf. Offenbar steht er auf alte Weiber.

Nein, das konnte nicht sein. Sie fühlte förmlich seinen leidenschaftlichen Blick, wenn sie ihn auf dem Flur begegnete, und sie begegnete ihm ziemlich oft. Dass er sie liebte, brauchte er ihr nicht zu sagen. Das wusste sie auch so. Punktum.

Oder war er nur geil auf sie, geil um seine eigenen Gelüste zubefriedigen, wie bei einer Nutte. Na klar, er ließ sie überwachen, damit sie sich auf dem Flur begegnen würden. Anschließend schloss er sich in sein Büro ein.

„Justus Voigt, du dreckiger Kerl!“, brüllte sie. Der ist wie alle Vorgesetzten: hinterlistig und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Dabei war sie gar nicht so abgeneigt, mit ihm auch mal so eine Nacht zu verbringen, ohne Verpflichtungen. Die Knechtel würde dann vor Wut überschäumen, frohlockte sie. Warum merkte er das bloß nicht, der Idiot. Als ob ihre Gedanken noch nicht ausreichten, kreischte sie „Du Idiot, du Idiot!“

Die Tür ging auf. „Evelin?“

Evelin schwieg. Ihre Mutter schaltete das Licht ein. Evelin saß verkrampft in ihrem Bett, die Hände zur Faust geballt und den Kopf auf die Brust gesenkt. Sie atmete schwer.

„Evelin, ich möchte dir helfen. Ich verstehe deine Gefühle gegenüber Voigt. Ich habe es an deinem Blick gesehen.“

Evelin nickte.

„Am besten du machst deine Arbeit so gut du kannst. Die fachliche Anerkennung kann und wird er dir dann nicht versagen.“

Langsam entkrampfte Evelin und legte sich. „Danke Mama.“

„Alles ist gut. Du brauchst den Schlaf, Liebes. Vielleicht solltest du doch mal eine stationäre Therapie machen? Denk’ mal darüber nach.“

„Quatsch! Beim letzten Mal haben die mich nur mit Pillen zugedröhnt. Ich stand völlig neben mir! Das weißt du doch, Mama!“

„Ist gut, Evelin. Und jetzt ruh’ dich aus.“

Die Mutter schüttelte den Kopf und verließ das Zimmer. Es war anstrengend, sich immer auf Evelins schnell wechselnde Launen einzustellen. Die Mutter nahm das schwarz-weiße Buch über das manisch depressive Syndrom, das auf dem Nachttisch lag und las, bis sie zu müde wurde, um dem Inhalt zu folgen.

 

Je näher Udo kam, desto intensiver wurden die Blaulichtblitze, die über das abgeerntete Feld zuckten. Ihn packte die Sorge, dass er nicht zu dem Objekt durchkommen würde. Sollte er gleich umdrehen, um es andersherum zu versuchen? Das würde ihn eine viertel Stunde Umweg kosten. Mit jeder Überlegung näherte er sich dem Objekt der Softwarefirma. Udo war unentschlossen.

Die Büsche am Rande der Straße und die hügligen Felder ließen für einen kurzen Augenblick die Sicht frei. Udo bremste. Aufgestellte Scheinwerfer beleuchteten das Gebäude der Firma.

Beim Annähern konnte Udo keine Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr erkennen, nur Polizei und Krankenwagen. Was war passiert? Er fuhr bis nahe an die Absperrung heran und stellte den Motor ab. Hasso musste jetzt allein im Wagen zurückbleiben. Aufgeregt bellte er.

Während Udo bis an das Absperrband ging, blickte er sich um. Scheinwerfer erhellten die Umgebung. Ein etwa 40-jähriger Mann stieg gerade in das Einsatzfahrzeug, offenbar zur Befragung, ein. Zu einem andern Fahrzeug wurde ein Motorradfahrer mit Handschellen geführt. Für einen kurzen Augenblick konnte er das Gesicht erkennen. Sofort wurde er an seinen letzten Fall vor seiner ungerechtfertigten Suspendierung erinnert. Ja, diesen Rocker hatte er schon einmal selber verhört. Eine verdammt harte Nuss. Einen Augenblick hielt er inne. Wer hatte damals nur die Informationen an die Presse weitergegeben, deren Geheimhaltung so wichtig für die Ermittlung war. Wie oft hatte er darüber schon nachgedacht. Immer mit dem gleichen deprimierenden Ergebnis. Mit aller Gewaltriss er sich von diesem Gedanken los.

Udo stellte sich bei einem Beamten vor und fragte nach dem Einsatzleiter. Udo hörte das Funkgerät des Beamten rauschen.

„Kriminalhauptmeister Anderson. Bitte warten Sie hier. Ich werde Kriminaloberkommissar Fründt benachrichtigen.“

Mit dem Druck auf die Sprechtaste hörte es auf zu rauschen. „Hubert, ein Herr Voss ist hier. Er ist von der Sicherheitsfirma. Personalien habe ich schon überprüft.“

„Ist gut, ich komme gleich. - Udo, Udo Voss etwa?“, quäkte es aus dem kleinen Lautsprecher, der alle Stimmbesonderheiten verschluckte.

„Ja. Kennt ihr euch?“

Eine Antwort kam nicht aus dem Gerät.

„Du verstehst, Udo, dass wir auch dich als Mitarbeiter der beauftragten Sicherheitsfirma interviewen müssen. Du brauchst also erst gar nicht zu fragen, was passiert ist“, begann Hubert Fründt schon beim Näherkommen. „Aber lass' dich erst einmal begrüßen, alter Junge.“ Fründt gab Udo herzlich die Hand. „Es ist ja schon eine kleine Ewigkeit her!“

„Das kann man wohl sagen, Hubert. Trotzdem frag’ ich, was passiert ist. Vielleicht kann ich ja etwas zu den Ermittlungen beitragen. Mir schwant da so etwas, als ich eben den silbergrauen Fiesta hier stehen sah. Ihr habt also den Täter!?“

„Das fällt unter die Geheimhaltung. Das solltest du eigentlich wissen, Udo. Was, was ist denn mit dem Fiesta?“ Fründt konnte Udo nichts vormachen. Seine Fähigkeit, in Gesichtern zu lesen war in der Dienststelle legendär.

„Nun tu nicht so! Mir machst du doch nichts vor. Also, Klartext: Den Fiesta habe ich die Nacht schon einmal gesehen. Kennzeichen habe ich mir gemerkt, rein reflexartig, weißt du ja.“ Udo zog einen Zettel aus seiner Brusttasche und gab ihn Fründt. „Hab es aufgeschrieben, falls es Rückfragen vom Krankenhaus geben sollte. Zurück zum Fiesta. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass der anderthalb Kilometer über diese Buckelpiste bis hierher mit ’ner gebrochenen Achse fahren kann.“ Dann erzählte Udo demKriminaloberkommissar Hubert Fründt die Geschichte von der hochschwangerenFrau.

 

Montag, 11. Oktober

Udos Dienstnacht war ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Hasso lag auf der Rückbank und hatte seinen Kopf auf seine Vorderpfoten gelegt. Nur abund zu öffnete er seine Augen, um nach dem Rechten zu sehen. Plötzlich stellte er sich auf und bellte kurz. Blaue Blitze und die Sirene eines Einsatzfahrzeuges der Polizei nötigten Udo am rechten Fahrbahnrand zum langsam Fahren. Trotz aufmerksamer Fahrweise hatte er sie erst jetzt, unmittelbar hinter ihm, bemerkt. Das Fahrzeug überholte den Golf.

„Polizei, bitte folgen“ blinkte in roter Leuchtschrift im Heckfenster auf. Das Polizeifahrzeug wurde langsamer und fuhr auf den Sandstreifen.

„Ist die rote Heckleuchte etwa ausgefallen?“ schoss es Udo durch denKopf, „oder die Nummernschildbeleuchtung?“

Udo schaltete die Zündung ab.

Die Art, wie sich die beiden Polizisten dem Golf näherten, flößte Udo Angst ein.

„Eine Verwechselung, das kann nur eine Verwechselung sein“. Udos Puls raste.

Genauso, mit gezogener Dienstwaffe. Wie oft hatte er sich so früher Kriminellen zu seinem eigenen Schutz genähert.

„Ruhig bleiben, keine hektischen Bewegungen!“, pochte es von innen an seine Stirn. Er legte die Hände langsam aufs Lenkrad. Auf dieser Seite des Einsatzes fühlte sich die Lage noch bedrohlicher an. Udos Herz schlug ihm bis an den Hals. Auch wenn er wusste, dass es strenge Regeln für den Einsatz von Schusswaffen gab, war es ihm durchaus nicht egal, in den Lauf einer Pistole zublicken. Würde der Gegenüber alle seine gewollten und ungewollten Bewegungen richtig deuten können?

„Platz!“, gab er Hasso den Befehl. Was war, wenn Hasso sich bewegte?

Nachdem er Zulassung und Führerschein ausgehändigt hatte, musste Udo sich mit den Händen auf dem kalten Blech seines schwarzen Golfs abstützen und die Beine spreizen. Wohl wissend, dass immer noch eine Waffe auf ihn gerichtet war, befolgte er die Anweisungen auf das Genauste. Die Leibesvisitation ergab keine Beanstandungen. Dennoch wurden ihm Handschellen angelegt und er wurde zum Einsatzfahrzeug geführt.

„Sie sind vorläufig festgenommen, Herr Voss, wenn der Name überhauptstimmt. Sie werden des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne gültigen Führerschein beschuldigt. Ihr Fahrzeug hat auch keine gültige Zulassung mehr und die Nummernschilder sind gefälscht. Zur Klärung der näheren Umstände nehmen wir Sie mit aufs Revier.“

Über Funk wurde die Dienststelle informiert.

Udo war fassungslos. „Bitte hören Sie! Hier liegt offenbar ein Missverständnisvor.“

„Diese Sprüche kennen wir“, war die Antwort.

Stimmt, von solchen Aussagen hätte ich mich auch nicht beeindrucken lassen, gab Udo für sich zu. Auch wenn Udo in diesem Falle wusste, dass es sich hier wirklich nur um einen Irrtum handeln konnte. An die Möglichkeit, dass die Polizisten in Wirklichkeit gar keine Polizisten waren, mochte er gar nicht denken.

 

Udo saß in der Zelle. Minuten fühlten sich wie Stunden an. Sein Chef verließ sich auf ihn. Mit Recht konnte er sich auf Udo verlassen, das wusste sein Chef; trotz aller Differenzen. Differenzen gab es nur bei der Auslegung der Kompetenzen. Naja, nur! Offensichtlich konnte Udo nicht damit rechnen, inden nächsten Stunden freigelassen zu werden. Noch war es Zeit einen Ersatz für die Kontrollaufgaben seiner Objekte zu beauftragen. Er musste dringend telefonieren ...